Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Volksgruppe - Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden

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Interview mit Peter Kurth

Vor wenigen Tagen hatte ein Vertreter der AGMO e.V. die Gelegenheit den ehemaligen Berliner Finanzsenator und jetzigen geschäftsführenden Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), Peter Kurth, zu einem Gespräch und Gedankenaustausch in Berlin zu treffen.

Herr Kurth, Sie sind Präsident des Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft und stammen aus einer rheinischen Familie. Warum interessieren Sie sich überhaupt für die Fragen des muttersprachlichen Deutschunterrichts in der Republik Polen?

Tilman Fischer (Stellv. Vors. AGMO e.V.), Peter Kurth (Präsident BDE)

Osteuropa fasziniert mich seit meinem Umzug nach Berlin 1985. Berlin ist in der Tat die westlichste Stadt Ost- und die östlichste Stadt Westeuropas. Die Aufgabe wieder zusammenzuführen, was zusammengehört, fasziniert mich unverändert. In den Jahren 2001 bis 2009 hatte ich dann die Gelegenheit, für die Berliner ALBA AG das Polen-Geschäft weiterzuentwickeln, wobei ich vor allem in Schlesien zu tun hatte. Die Gegend um Breslau und Oppeln ist ein Schwerpunkt europäischer und deutscher Investitionen in der Republik Polen. Wenn man hier Investitionen einwirbt oder tätigt, darf man dabei nicht nur die sogenannten harten Standortfaktoren im Blick haben – es kommt immer auch auf die sogenannten weichen Faktoren an, wozu eben die gesamtgesellschaftliche Entwicklung gehört. Förderkonditionen können sich von heute auf morgen ändern, Sprachkenntnisse nicht. Das umfasst in Landstrichen wie Schlesien eben an zentraler Stelle die Fragen der Minderheitenpolitik. Ganz abgesehen von meinem beruflichen Bezug zur Region hat mich dann die Kulturlandschaft zunehmend beschäftigt– es handelt sich schließlich dort um alte deutsche Städte, also einen Teil unserer gemeinsamen Geschichte und kulturellen Identität. Sehen Sie sich Breslau oder Waldenburg an.

Eine ähnliche Konstellation, wie Sie sie ansprechen, konnte in Ungarn beobachtet werden, wo sich ebenfalls viele deutsche Unternehmen niederließen – die dortigen Vertreter der deutschen Volksgruppe haben die Sensibilität deutscher Unternehmer für weiche Standortfaktoren aufgegriffen und es entstanden Kooperationen im Kultur- und Bildungsbereich. War ein entsprechendes Engagement auch seitens der Vertreter der Deutschen in Polen erkennbar?

Nein, leider nicht. Dabei hätte es überhaupt kein Problem dargestellt, gezielt auf deutsche Firmen zuzugehen und gemeinsame Bildungsprojekte anzuregen. Was alles möglich ist, wo nur der Wille vorhanden ist, zeigt die inzwischen bedeutende Gemeinde der Koreaner, die im Umfeld des neuen großen Gewerbegebietes bei Breslau entstanden ist – dort gibt es mittlerweile sogar koreanische Schulen. Es ist für uns ganz klar: Sprachpolitik liegt im absoluten Interesse der Firmen. Insbesondere am frühkindlichen Erwerb der deutschen Sprache innerhalb der breiten Bevölkerung wäre wohl den meisten Unternehmen sehr gelegen. Schließlich geht es um dreierlei: Erstens vereinfacht es Betriebsabläufe in den Unternehmen, wenn Mitarbeiter aus Deutschland und Polen miteinander ohne sprachliche Hürden kommunizieren können. Zweitens stehen wir vor dem Problem, dass polnische Arbeitnehmer häufiger ihren Arbeitsplatz wechseln als Deutsche – dem könnte bei der Besetzung bestimmter Positionen mit einer Einstellung deutscher Arbeitnehmer begegnet werden, wenn ein attraktives deutsches Kultur- und Bildungswesen vorhanden wäre, das Deutschen mit ihren Familien den Zuzug nach Polen erleichtern würde. Drittens geht eine solide Wirtschaft meist mit einer lebendigen und positiven gesellschaftlichen Gesamtsituation einher – hierzu kann eine lebendige deutsche Minderheit als gesellschaftliche Gruppe viel beitragen, ganz abgesehen von dem Brückenschlag den sie zwischen Ost und West ermöglicht.

Haben denn Institutionen der deutschen Volksgruppe, wie etwa das Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten überhaupt einmal artikuliert?

Solange ich dort war, herrschte diesbezüglich seitens der deutschen Volksgruppe eher Lethargie. Selbst den Abgeordneten der Deutschen im Sejm musste man eher zum Jagen tragen, wenn es um derlei Belange ging. Dabei wäre gerade diese Seite am Zuge gewesen – auch wenn bei vielen Unternehmen die Bereitschaft zu einem Engagement vorhanden ist, bedeuteten die ersten Jahre des wirtschaftlichen Wachstums für Investoren aus dem europäischen Ausland zunächst einmal Verwaltungs- und Organisationsanstrengungen, Kundenbindung und Bauvorhaben, angesichts derer das Desinteresse der Minderheitenvertreter eher dazu anregte, mit der Umsetzung konkreter Vorhaben im gesellschaftlichen Umfeld abzuwarten.

Ist der Zug inzwischen abgefahren oder sehen Sie noch Möglichkeiten, gemeinsame Projekte zwischen den Deutschen in der Republik Polen und ortsansässigen Unternehmen anzuregen?

Der Zug ist sicherlich nicht abgefahren und die Bereitschaft zur Unterstützung besteht bei den Firmen sicherlich fort. Schließlich denken Unternehmer, die eine Beziehung zu der Region, in der sie aktiv sind entwickeln, nicht kurzfristig, sondern planen weitblickend über Jahrzehnte hinweg: Sicherlich bringt es heute keine Rendite, den Deutschunterricht in Kindergärten und Schulen zu unterstützen, jedoch können hiermit langfristige Strukturentwicklungen angestoßen werden, die im Sinne des kulturellen Reichtums und einer lebendigen Zivilgesellschaft sind. Ich könnte mir  zum Beispiel sehr gut vorstellen, dass etwa der Deutschunterricht in einer konkreten Kindertagesstätte durch ein konkretes Unternehmen aus der näheren Umgebung gefördert wird. Auch darüber hinaus bestehen viele Möglichkeiten einer Zusammenarbeit, zum Beispiel im Bereich der deutschsprachigen Medien. Gemeinsam könnte einiges erreicht werden, um das Minderheitenleben zu bereichern und neue Angebote – gerade auch für jüngere Menschen – zu schaffen.

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.