„Des Leb'n is' koan Ponyhof“

Drucken

Sehr geehrter Herr Rauschenberger, Sie sind aktives Mitglied der deutschen Studentenverbindung „Verein deutscher Hochschüler zu Budapest“ (VDH Budapest). Weshalb engagieren Sie sich als junger Angehöriger der deutschen Volksgruppe in Ungarn in dieser Organisation? Wofür steht der VDH Budapest und welche Funktion üben Sie im VDH Budapest aus?

Als geborener Budapester und Angehöriger der deutschen Minderheit habe ich in meiner Gymnasialzeit natürlich nach Möglichkeiten gesucht, die Sprache meiner Vorfahren in der ungarischen Hauptstadt zu üben. Da die offizielle Jugendorganisation der Ungarndeutschen (GJU – Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher) in meiner Stadt keine Präsenz mehr zeigt, habe ich zeitweilig mit dem Gedanken einer Vereinsgründung gespielt. In dieser Stimmung habe ich einige Mitglieder des VDH Budapest kennengelernt und wurde nach ein paar Stammtischbesuchen schnell selbst Mitglied. Ich habe es nicht bereut. Seit Jahren erlebe ich immer wieder, wie es sich anfühlt, in einer gut funktionierenden Gemeinschaft zu sein, die an Werten und Zielen wie Bildung, Traditionspflege, lebenslange Freundschaft und Zusammenhalt gefestigt ist. Die bestimmte Vereinsgründung ist nun nicht mehr aktuell, aber als aktiver Bursch meiner Verbindung kann ich immer öfter neue Gesichter aus der ungarndeutschen oder eben aus der schlesischen Studentenszene kennenlernen.

Matthäus Rauschenberger - Deutscher aus Ungarn und Mitglied des VDH Budapest

Der Kontakt zwischen Ihnen und der AGMO e.V. ist über das Internet und zwar über das sog. soziale Netzwerk namens „Facebook“ zustande gekommen. Anlass waren die von Ihnen für die „Deutsche Liste“ der Ungarndeutschen bei den Parlamentswahlen am 6. April 2014 entworfenen Wahlplakate. Darauf sprechen Sie in direkter und „plakativer“ Weise Probleme der deutschen Volksgruppe in Ungarn an. Wie ist die Idee zu den Plakaten grundsätzlich entstanden?

Als der Termin der Parlamentswahlen immer näher rückte, haben wir unter uns immer häufiger über die Chancen eines deutschen Abgeordneten gesprochen und mussten nach den ersten Hoffnungen feststellen, dass die Zahlen kein ruhmvolles Ergebnis versprachen.

Andererseits waren wir von der Inaktivität und der scheinbaren Agonie der deutschsprachigen Selbstverwaltungen enttäuscht. Als korporierte Studenten haben wir in dieser Situation unsere historische Verantwortung erkannt und haben uns nach einer internen Abstimmung entschieden, mit einem schärferen Ton auf die Interessen unserer Volksgruppe aufmerksam zu machen. Da wir mit keiner finanziellen Förderung rechnen konnten, haben wir mit unseren Mitteln gehandelt. So sind zahlreiche Online-Plakate entstanden, die kurz und direkt auf die Wichtigkeit unserer politischen Vertretung aufmerksam machen.

Erhalten Sie für diese durchaus auch kritisch-provokanten Werbesprüche auch die Unterstützung des Dachverbandes der Deutschen in Ungarn, der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU)?


Da es sich um zwei voneinander unabhängig funktionierende Organisationen handelt, hat sich von der Seite der LdU bei uns noch keiner gemeldet. Wir haben auch mit keiner Unterstützung gerechnet. Trotzdem war es für uns äußerst überraschend und motivierend zu sehen, wie populär einige Plakate geworden sind.  Wenn man bedenkt, dass auch Fonds für eine offizielle Kampagne vorhanden waren, kann man erst ermessen, wie erfolgreich dieser Weg trotz unseres Nullbudgets war. Für die offizielle Kampagne ist die GJU zuständig, und mittlerweile verwenden sie auch einiges von unserem Werbematerial.

Vom VDH Budapest entworfenes Wahlplakat der "Deutschen Liste"
für die Parlamentswahlen in Ungarn am 06.04.2014

Während in den Strukturen anderer deutscher Volksgruppen in Mittel- und Osteuropa Probleme eher unter Verschluss gehalten werden und man sich nach außen hin eine glänzende Fassade zulegt, legen Sie mit Aussagen wie „So bleibt nur das Ortsschild zweisprachig“ oder „Eine Blaskapelle ist keine Vertretung“ jegliche Maske ab und reden Tacheles. Was war für Sie der Grund, die Zurückhaltung, die man sonst in volksgruppenpolitischen Fragen erlebt, fallen zu lassen?

Wie der bei uns von einem Mitglied verbreitete Spruch „Des Lebn is' koan Ponyhof“ sagt, sieht die Lage bei uns auch nicht besonders gut aus.  Das Phänomen der nur im Wort aktiven Volksvertreter bleibt uns auch nicht erspart. Die allgemeine Selbstlobwelle in unseren Kreisen kann man übrigens gewissermaßen verstehen, weil das Ungarndeutschtum in den letzten zehn Jahren auf dem Papier einen Zuwachs von 154% gezeigt hat. Wenn man aber weitgehender herumschaut, wie es z.B. auf der Ebene des Nationalitätenunterrichts aussieht, wird man schnell nüchtern – wenn nicht erschrocken, wie ich damals. Im ganzen Land gibt es nur drei Orte, wo man ohne extrem hohe Gebühren einen anständigen Deutschunterricht bekommen kann (soweit ich weiß). Das bereitet den Weg für den Sprachverlust und die absolute Assimilation vor, egal wie viele denken, dass die Sprache nur ein zu entbehrender Teil der Identität wäre. Wir sind jung, unabhängig, motiviert und haben im Gegenteil mit den Positionen weniger zu verlieren. So haben wir die Möglichkeit freilich genutzt, Klartext zu reden.

Besonders gut, weil es den Ernst der Lage verdeutlicht, in welcher sich deutsche Volksgruppen nicht nur in Ungarn, sondern – um auf den eigentlichen Wirkungsbereich der AGMO e.V. zu sprechen zu kommen – auch in der Republik Polen befinden, hat uns das Plakat mit der Aufschrift: „Die Hälfte von uns haben sie schon – Assimilation ist kein Scherz.“ Wie kommen solche kernigen Aussagen bei den eigenen Leuten, den Deutschen in Ungarn an, und wie reagiert die ungarische Mehrheitsgesellschaft darauf?

Der Inhalt in unserer Kampagne war überwiegend provokativ, weil es die Leute zum Nachdenken veranlassen sollte. Obwohl ich bei dem erwähnten Plakat mit einem größeren Echo gerechnet habe, hat es eigentlich keine größere Rückkopplung ausgelöst. Vielleicht ist es den älteren Schwaben von uns nicht einmal aufgefallen und die Ungarn haben zur Zeit viel größere Sorgen, als sich um Slogans einer paprikadeutsche Ideenfabrik wegen eines einzigen Mandats im Parlament zu kümmern.

Sie sind also der Auffassung, dass man in der akuten Lage vor allem mit prononcierten Aussagen und klaren Positionen die Ziele nationaler und ethnischer Minderheiten vertreten sollte. Was für eine Botschaft wollen Sie an die politischen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und an die politischen Vertreter der Verbände der deutschen Volksgruppen in Mittel- und Osteuropa richten?

Nach meinen Erfahrungen würde ich unsere Vertreter darauf aufmerksam machen, was für Potentiale in unseren Gemeinschaften stecken, und damit ist jetzt nicht die bis zum Überdruss wiederholte Phrase vom „kulturellen Brückenbauer zwischen Ost und West“ gemeint. Wir sind Vertreter einer Lebensweise und Denkart, die sowohl unsere Heimatländer als auch unser Volk bereichert und an schwierigeren Tagen zugutekommen kann. Nach dem Erwerb der Sprache können wir das Wirtschaftswachstum in der Region beschleunigen, so wie wir es seit Jahrhunderten tun. Der Reform des Nationalitätenunterrichts wäre auch rasch notwendig, um in fünfzig Jahren noch von einer bestehenden Gemeinschaft reden zu können.

Als zweiten Gedanken würde ich darauf hinweisen, dass unsere Organisationen im Osten vielleicht nicht mehr so gut wie bedingungslos unterstützt werden sollten, sondern es sollten die Fortschritte jedes Jahr nachgewiesen werden, denn eine Kontrolle bedeutet auch ein Interesse von bundesdeutscher Seite. Es kann z.B. nicht sein, dass auf der „Deutschen Liste“ für die Parlamentswahlen kein einziger Jurist/Anwalt zu sehen war und dass so etwas auch noch unterstützt wird. Solche Blamagen schwächen auch unsere Verhandlungsposition.

Bitte lassen Sie sich von unserer Unterrepräsentierung in der BRD nicht täuschen. Es geht halt darum, dass es, wenn jeder einfach nach Westen emigrieren würde, zu Hause niemanden mehr zu vertreten gäbe. Siehe Siebenbürgen.

Es gibt auch einen spürbaren Bedarf nach engerer Mitarbeit zwischen unseren osteuropäischen Volksgruppen. Glücklicherweise kann ich über die Arbeitsgemeinschaft von den VDH Bünden zu Ratibor, Oppeln und Budapest berichten, wodurch z.B. ich letztes Jahr das Land am Oderstrand besuchen durfte. Ich würde gerne aus ähnlichen Gründen nach Südtirol, ins  Egerland oder in das Banat fahren.

Herr Rauschenberger, die AGMO e.V. dankt Ihnen für das Gespräch und wünscht Ihnen persönlich, dem VDH Budapest und den Deutschen in Ungarn alles Gute und viel Erfolg bei der Arbeit!


Ich bedanke mich auch im Namen unserer Gemeinschaft für die Möglichkeit das Gespräch zu führen! Wir werden garantiert noch von uns hören lassen.

Weitere Informationen: http://vdhbudapest.blog.hu/

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.