23. Juni 2015
Die Republik Polen und die deutsche Volksgruppe nach den Wahlen 2015
Die Bürger der Republik Polen haben gewählt – und die europäischen Beobachter überrascht: Entgegen der allgemeinen Annahmen haben sie den nationalkonservativen Andrzej Duda (Recht und Gerechtigkeit / Prawo i Sprawiedliwość – PiS) zum Staatspräsidenten gewählt. Damit endet die Zeit von Bronisław Komorowski im ersten Amt des Staates. Was mag dieser Umschwung für die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen bedeuten? Zunächst einmal wird es dabei darauf ankommen, wie sich die Beziehungen zwischen der polnischen und der deutschen Staatsführung gestalten.
Neugewählter Präsident der Republik Polen, Andrzej Duda
Der polnische Soziologe Prof. Dr. hab. Janusz A. Majcherek stellt in einer ersten Analyse der politischen Lage nach der Wahl (Polen nach den Präsidentenwahlen 2015, in: Polen-Analysen Nr. 164) Prognosen unter anderem auch zum deutsch-polnischen Verhältnis auf:
„Mit Sicherheit ist eine größere Distanz des Staatspräsidenten gegenüber Deutschland und der Europäischen Union zu erwarten, da der neue Amtsinhaber eine europaskeptische und nationalzentrierte Haltung repräsentiert.“ Eine solche Entwicklung wäre insofern tragisch, als gerade in letzter Zeit die bundesdeutsche Politik deutlicher als zuvor Ansprüche und Bedürfnisse der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen artikuliert hat – so den Bedarf an deutschsprachigen Bildungseinrichtungen, den der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten als solchen benannte. Daher wird es eine Herausforderung für die Vertreter der Bundesrepublik sein, einen Gesprächsmodus zu finden, in dem auch solche Fragen angesprochen werden, die gerade im rechten Lager der polnischen Politik ‚heiße Eisen‘ darstellen.
Da volksgruppenpolitische Fragen jedoch nicht nur auf binationaler, sondern ebenso auf europapolitischer Ebene verhandelt werden – mithin europäische Rechtsnormen zur Absicherung von Minderheitenrechten beitragen –, müssen an dieser Stelle neben der polnisch-deutschen die polnisch-europäischen Beziehungen beachtet werden. „Indem er sich häufig auf nationale Interessen berief, signalisierte Duda die Absicht, eine selbständigere und separate Politik in der Europäischen Union zu betreiben“, konstatiert Majcherek und weiter: „er nannte dies eine Abkehr vom ‚Schwimmen im mainstream‘.“ Eine solche ‚Abkehr‘ stünde im Zeichen EU-kritischer Diskussionen, wie sie nicht nur in der Republik Polen verstärkt geführt werden. In deren Zentrum stehen allgemeinhin wirtschafts- und finanzpolitische sowie verfassungsrechtliche Bedenken. Daher müssen volksgruppenpolitische Fragen nicht zwingend prinzipiell betroffen sein. Jedoch muss deutscherseits darauf gedrungen werden, dass das Bestreben, der nationalen Souveränität innerhalb der EU Geltung zu verschaffen, sich nicht vermischt mit Tendenzen, die den im Europarat unterzeichneten Übereinkommen – „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ und „Europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen“ – noch mehr zuwiderlaufen als dato.
In der Praxis befürchtet Majcherek eine „Schwächung der bisherigen Verbindungen und Kooperationen mit Deutschland“. Damit mag er ganz allgemein Recht haben – jedoch ist zweierlei zu beachten: Zum einen, dass die Lage der Deutschen in der Republik Polen, was die Bildungspolitik betrifft, auch unter Dudas liberaleren Vorgängern, noch und bereits nicht rosig war. Daher wird man wohl als Außenstehender in der Volksgruppenpolitik ebenso wenig eine deutliche Verschlechterung wahrnehmen können, wie man auch nach dem tragischen Ende der Amtszeit von Lech Kaczyński keine signifikante Besserung feststellen konnte. Immerhin ist der Präsident zwar ein wichtiger aber eben auch nur einer der politischen Akteure. Zum anderen ist zu beachten, dass der Blick nach Ungarn – auch wenn wir es hier mit anderen historischen Voraussetzungen zu tun haben – lehrt, dass eine nationalkonservative Regierung nicht immer ein Feind jeder Minderheit ist, in Budapest sich sogar als äußerst deutschenfreundlich erweist.
Daher scheint es darauf anzukommen, ob sich Duda dazu entscheiden wird, Präsident aller seiner – und damit auch der deutschen – Staatsbürger der Republik Polen zu sein und ihre Interessen auch als die seiner Nation zu begreifen. Ansonsten müsste er bei einer Politik verharren, die einzig den Vorstellungen seiner Wählerklientel in Mittel- und Ostpolen entspricht.