Ambitioniert – Die Deutschen in der Republik Polen und die polnischen Parlamentswahlen 2015

Drucken

Die Deutschen östlich von Oder und Neiße haben sich viel vorgenommen. Sie wollen mehrere Sitze im polnischen Parlament, dem Sejm in Warschau, bei den Parlamentswahlen Ende Oktober 2015 gewinnen. Die Vorbereitungen dazu laufen vor allem im Bezirk Oppeln bereits seit einigen Wochen.

1990er Jahre als Vorbild

Von den Zahlen her hat man sich als Vorbild die neunziger Jahre auserkoren. Seinerzeit verfügten die Deutschen über bis zu sieben Sitze im Warschauer Parlament und zusätzlich zwei Sitze in der ersten Kammer, dem Polnischen Senat. Derzeit liegt die parlamentarische Präsenz lediglich bei einem Abgeordnetenmandat. Mit geballter Kraft und starkem Willen soll sich das nun ändern. Im Bezirk Oppeln möchte man mindestens zwei Abgeordnete ins Parlament entsenden und einen Sitz im Senat erobern. Im Bezirk Schlesien sind die Pläne noch ehrgeiziger. Hier wurde kurzerhand das Wahlkomitee „Vereinigt für Schlesien“ aus der Taufe gehoben.

DFK Schlesien und die sog. „Autonomiebewegung“ - Gemeinsam mit dem politischen Hauptgegner

Der Leser wird sich vielleicht wundern, wo bei diesem Komitee der Bezug zur deutschen Volksgruppe erkennbar sein könnte. Diesen Bezug gibt es im Namen der Wahlvereinigung im Bezirk Schlesien nicht. Denn in dem dortigen Komitee sind neben dem Deutschen Freundschaftskreis (DFK) Schlesien auch die deutsche Gruppe „Versöhnung und Zukunft“ aus Kattowitz und erstaunlicherweise die separatistische, sogenannte „Autonomiebewegung für Schlesien“ (RAS) zusammengefasst. Wird „Versöhnung und Zukunft“ von dem Deutschen Dietmar Brehmer geleitet, so überrascht die Einbindung der RAS in das Wahlkomitee außerordentlich. Denn die Autonomisten in Schlesien zeichneten sich in der Vergangenheit oftmals durch eine teils aggressive, entschiedene Gegnerschaft zu den Strukturen der Deutschen in Oberschlesien aus. Es ist bisher nicht bekannt, ob ein Sinneswandel seitens der sog. „Autonomiebewegung“ tatsächlich stattgefunden hat.

Kandidaten des Wahlkomitees „Vereinigt für Schlesien“ im Bezirk Schlesien
(v.l.n.r. Anna Ronin (dt. Volksgruppe), Andrzej Slawik (RAS), Zbigniew Kadlubek (Versöhnung & Zukunft)

Die deutschen Initiatoren des Wahlkomitees im Bezirk Schlesien rechtfertigen dieses Vorgehen damit, dass man alleine zu schwach sei, um mindestens drei oder wie Dietmar Brehmer aus Kattowitz meint, vielleicht sogar sechs Sitze bei den Sejm-Wahlen gewinnen zu können. Ob es im Bezirk Schlesien zielführend ist, mit einem der direkten politischen Gegner zur Wahl ein Zweckbündnis einzugehen und selber anonym zu bleiben: Der Begriff „deutsch“ wird ganz bewusst vermieden, erscheint fraglich. Sollte es zu einem Wahlerfolg kommen, könnte dieser (zu) teuer erkauft worden sein.

Stimmengewinne bei Kommunalwahlen als Vertreter der „deutschen Minderheit“

Hat nicht gerade die sehr erfolgreiche Kandidatur Anna Ronins, als Kandidatin des „Wahlkomitees der DEUTSCHEN Minderheit“ für das Amt des Stadtpräsidenten von Ratibor im vergangenen Herbst 2014 beweisen, dass man auch als Deutscher die Stimmen von polnischen Wählern gewinnen kann? Anna Ronin ist nun seit Herbst 2014 Stadtkämmerin Ratibors. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der auf lokaler Ebene viel Vertrauen gewonnen werden könnte. Jetzt, kaum ein Jahr später steht Anna Ronin auf dem Listenplatz 1 von „Vereinigt für Schlesien“ und damit vor dem Sprung nach Warschau. Es bleibt abzuwarten, wie die Wähler in Ratibor darauf reagieren.

Wahlkomitee der deutschen Minderheit im Bezirk Oppeln – Früh am Start

Im Bezirk Oppeln stellen sich die Kandidaten des „Wahlkomitees der deutschen Minderheit“ bewusst als Deutsche zur Wahl. Das Programm wurde recht früh präsentiert und zugleich die Liste mit den Spitzenkandidaten vorgestellt. Darauf finden sich auch bekannte Gesichter, darunter der ehemalige Vorsitzende der Deutschen im Bezirk Oppeln Norbert Rasch. Der aktuell einzige Sejm-Abgeordnete der Deutschen, Ryszard Galla, betonte bei der Vorstellung des Wahlprogramms, dass man für alle Menschen im Bezirk, insbesondere junge Familien, Politik machen wolle. Dazu müsse die regionale Wirtschaft entscheidend gestärkt werden. Nicht zuletzt sei die Eröffnung des von der deutschen „Stiftung zur Entwicklung Schlesiens“ finanzierten „Businesszentrums“ als ein entsprechender Beitrag hierzu zu verstehen.

Kandidaten des Wahlkomitees der deutschen Minderheit im Bezirk Oppeln
(2. v.r. Ryszard Galla - der bisher einzige deutsche Sejm-Abgeordnete)

Fehlen einer dauerhaften Struktur bleibt stets ein Nachteil

Bei allen Vorhaben und programmatischen Feinheiten wird der Wahlkampf der beiden „Wahlkomitee der deutschen Minderheit“ von einem entscheidenden Nachteil belastet. Ein Wahlkomitee ist ein zeitlich begründetes Zweckbündnis. Zum Zweck der Wahl aufgestellt, kann es, wie im Bezirk Schlesien der Fall, oftmals inhaltlich sehr unterschiedliche „Partner“ beinhalten. Es ist zudem nicht auf Dauer einer gesamten Wahlperiode angelegt. Nach der Wahl verschwindet ein Wahlkomitee und den Wählern bietet sich nicht mehr ein institutioneller Ansprechpartner. Vor der nächsten Wahl wird dann wieder ein neues Komitee, ggf. mit abermals wechselnden Partnern, aus der Taufe gehoben.

Wähler wünschen einen über die gesamte Legislaturperiode präsenten Ansprechpartner. Auf zeitlich längere Frist gesehen wäre es womöglich überzeugender, wenn nicht nur erst Wochen vor einer Wahl ein Wahlkomitee in Aktion tritt und um die Stimmen der Bevölkerung wirbt, sondern eine feste organisatorische Struktur in Oppeln, Gleiwitz, Kattowitz und Ratibor ansprechbar wäre: Die Gründung eines mindestens parteiähnlichen Vereins sollte eine Überlegung wert sein!

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.