„Ach Luise, laß - das ist ein zu weites Feld.“

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Wahlrecht für deutsche Volksgruppe in der Republik Polen wird zur reinen Ermessensfrage degradiert / Rechtliche Klarstellung dringend erforderlich / Auslandswahlkreise als Lösung des Problems

Der Satz aus Theodor Fontanes „Effi Briest“ beschreibt treffend, was in den Wochen vor der Bundestagswahl in Bezug auf das Wahlrecht für Deutsche im Ausland – insbesondere die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen betreffend – verlautbart wurde.

Mit dem neuen Wahlgesetz vom 27.04.2013 schien der Weg für alle deutschen Staatsbürger zunächst einmal frei zu sein, weltweit an der Manifestierung des politischen Willens des deutschen Volkes teilnehmen zu können. Wie sah es nun bei der Wahl zum Deutschen Bundestag am 22.09.2013 für die Deutschen in der Republik Polen tatsächlich aus?

Zunächst einmal war es eine knappe Entscheidung des Wählers am 22.09.13. Wenige tausend Stimmen haben möglicherweise über Sitzmehrheit und Nichteinzug in das Parlament entschieden. Im Wahlkreis Essen-Süd gewann ein Kandidat mit nur drei Stimmen Vorsprung vor seinem Mitbewerber. Wenige tausend Stimmen von Deutschen aus dem Ausland könnten äußerst relevant sein.

Reichstagsgebäude in Berlin (Quelle: Wikipedia)

Vage Formulierungen enttäuschen aufkeimende Hoffnungen

Der Gesetzgeber, tunlichst darum bemüht zu vermeiden, erneut ein verfassungswidriges Wahlrecht zu beschließen, übernahm die wenig konkreten Formulierungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wortwörtlich. So stellt sich für jedes einzelne Kreiswahlamt die Frage, welcher deutsche Staatsbürger, der bisher nur im Ausland gelebt hat, unter die Formulierung des § 12 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 fallen könnte:

„wenn sie aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind.“

Vor der Wahl erschien ein Flugblatt des Dachverbandes der Deutschen in der Republik Polen (VdG), worin Beispiele aufgeführt wurden, die im Antrag auf Eintragung in das Wähler-verzeichnis einer bestimmten bundesdeutschen Gemeinde zwecks Begründung einer unmittel-baren Betroffenheit und Vertrautheit als genügend angesehen werden könnten. Denn nicht nur Letzteres muss nachgewiesen werden - auch der Grund aus dem diese oder jene Kommune den ostdeutschen Aspiranten in ihr Wählerverzeichnis aufnehmen sollte, musste dargelegt werden. Im Vertrauen auf diese Auskünfte schritten zahlreiche Deutsche zur Tat.

Ermessensspielraum – Grundlage von Fehlentscheidungen

Doch wurde die Rechnung ohne den Wirt und die Verbreitung der Informationen scheinbar ohne die Wahlbehörden gemacht. Gut begründete Anträge wurden massenhaft abgelehnt. Die Begründungen waren abenteuerlich. So scheint in Gelsenkirchen Unkenntnis der aktuellen Rechtslage ausschlaggebend gewesen zu sein. In Papenburg meint man, ein Urteil über die Intensität des Austauschs zwischen dem Chor aus Niedersachsen und dem Chor aus Cosel in Oberschlesien fällen zu können und dass der Umfang der bisherigen Zusammenarbeit nicht ausreiche eine Wahlteilnahme in Papenburg rechtfertigen zu können. Dass Papenburg auch Bruno Kosak, einen der führenden politischen Vertreter der Deutschen in Oberschlesien, als nicht "vertraut" und "betroffen" ansieht, zeigt die Absurdität des Vorgangs. Hier hatte die deutsch-polnische Städtepatenschaft mit Leben und Tatkraft gefüllt werden können. Der AGMO e.V. liegt ein Schreiben des Gelsenkirchener Wahlamtes vor, welches einem deutschen Oberschlesier (Aktivist der örtlichen DFK-Gruppe und des Bundes der Jugend der deutschen Minderheit) vermittelte, dass man ihn nicht aufzunehmen gedenke. Diesen Fall wird die Bonner Menschenrechtsgesellschaft selbstverständlich aufgreifen und weiterverfolgen.

Umfassende Berichterstattung in deutschen Medien

Zuvor hatten noch überregionale Tageszeitungen wie die WELT oder die Deutsche Presse-agentur über die erstmalige umfassende Wahlberechtigung von Deutschen aus der Republik Polen berichtet. Der Verband der deutschen Volksgruppe in der Rep. Polen (VdG) verschickte Wahlprüfsteine an die deutschen Parteien. Die Berichterstattung in den bundesdeutschen Medien ist vielleicht noch das beste Resultat der Bundestagswahl für die Deutschen in der Republik Polen.

Vertreter der Deutschen östlich von Oder und Neiße waren stets darum bemüht, zu betonen, dass ihr Dachverband selber parteipolitisch neutral sei und dass man sich über das mit der Wahlteilnahme symbolhaft verknüpfte Zeichen der Verbundenheit aller Deutschen, gleich ob sie nun in der Bundesrepublik oder außerhalb der Grenzen des deutschen Nationalstaats lebten, freue. Enttäuschte Reaktionen des VdG waren Folge der Ablehnung:

„Ist denn ein Deutscher in Polen der an dem Leben des Deutschen Freundschaftskreises aktiv teilnimmt, der seine Kinder in den muttersprachlichen Deutschunterricht schickt, der […] deutsche Nachrichten […] schaut weniger Deutsch als derjenige, der genau das gleiche […]  in den Grenzen der heutigen Bundesrepublik macht? […] Entscheidungen der Behörden bewirken, dass sich viele von uns als Bürger zweiter Klasse fühlen.“

Auslandswahlkreis –Lösung des Problems

Deutschland kann vom polnischen Nachbarn lernen. Alle im Ausland lebenden Polen sind automatisch einem Warschauer Wahlkreis zugeteilt. Ob ein bundesdeutscher Auslandswahlkreis territorial konstituiert ist oder auf rein personeller Ebene besteht, sei dahingestellt. Der Leserbrief einer Deutschen aus Paris (FAZ vom 13.08.2013) beschrieb diesbezüglich das vorteilhafte französische System der Auslandswahlkreise. Dass es in Zukunft einen Auslandswahlkreis geben muss, steht außer Zweifel. Die deutsche Politik ist aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen!

Die zur Klärung anstehenden Fragen sind weniger rechtlicher als vielmehr politischer Natur. Deutsche Staatsbürger, die sich durch Zugehörigkeit zu Volksgruppen-organisationen zu ihrer nationalen Identität bekennen, MÜSSEN an Wahlen zum Deutschen Bundestag teilnehmen können. Es muss durch eine Verordnung des die Aufsicht führenden Bundesinnenministers klar festgelegt werden, welche Voraus-setzung konkret ausreichen, um unmittelbar und persönlich von den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland betroffen zu sein. Es müssen auf dem Weg durch die Wahlprüfungsinstanzen unseres Staates Präzedenzfälle zur Klärung der Angelegenheit geschaffen werden.

Wie kann ein Angehöriger der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen NICHT betroffen sein?

Kann jemand mehr von den politischen Verhältnissen in Berlin betroffen sein, als wenn er Mitglied einer Organisation der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen ist, deren Tätigkeit zu mehr als zwei Dritteln von Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt abhängt?
Die Bundesregierung und die sie stützende Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag entscheiden über den Bundeshauhalt. Damit dürfte als aktives Mitglied eine Betroffenheit von der Zusammensetzung des Deutschen Bundestags und der Deutschen Bundesregierung denkbar deutlich auf der Hand liegen.

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.