Ein Unterschied wie Tag und Nacht

Drucken

Europaparlament beschließt Resolution zum Schutz bedrohter Sprachen und das Auswärtige Amt tritt in Stellungnahme zu AGMO-Petition auf der Stelle

Oft hält das Leben die besten und süffisantesten Parallelen bereit. Treffender und passgenauer als man sie sich selbst jemals ausdenken könnte.

Am Mittwoch, den 11.09.2013 verabschiedete das Europaparlament in Straßburg nahezu einstimmig mit 645 Ja- zu 26 Nein-Stimmen bei 29 Enthaltungen eine Resolution, die sich in besonderer Weise mit dem Schutz bedrohter Sprachen und dem Schutz der sprachlichen Vielfalt auseinandersetzt.

Achtung vor sprachlicher Vielfalt

In dem „Bericht über die vom Aussterben bedrohten europäischen Sprachen und die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union“, der wesentlich durch den französisch-korsischen Europaabgeordneten Francois Alfonsi ausgearbeitet wurde, fordert das Europäische Parlament die Institutionen der Europäischen Union und die Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten unter anderem dazu auf, die Achtung der Sprachenvielfalt als eine Grundlinie des europäischen Selbstverständnisses und Wertekanons zu definieren. Der Sprecher des Europäischen Netzwerks für Sprachengleicheit (European Language Equality Network - ELEN), Davyth Hicks, betonte, dass der Beschluss ein großartiger Erfolg der Bemühung sei, die Aufmerksamkeit auf bedrohte Sprachen in Europa zu lenken. Es ginge um Respekt vor der kulturellen Vielfalt.

Es ist zu begrüßen, dass alle polnischen und deutschen Parlamentarier diesem Beschluß zugestimmt haben, denn: Daran werden sich die beiden betroffenen Mitgliedsstaaten in Zukunft messen lassen müssen.

Francois Alfonsi MdEP und Tobias Körfer (Vors. AGMO e.V.)
im Europaparlament in Straßburg

Europa-Arbeit der AGMO e.V. zeigt Wirkung

Francois Alfonsi MdEP, den Vertreter der AGMO e.V. im Rahmen ihres Vortrags im Europaparlament in Straßburg am 7. Februar 2013 treffen und sprechen konnten – wobei genau die in der Resolution enthaltenen Punkte thematisiert wurden – verwendet eine klare, unmissverständliche Sprache. Nicht nur die Sprachenvielfalt solle respektiert werden. Vielmehr noch sehen sich die Mitgliedsstaaten der EU durch das Parlament dazu aufgefordert, „sämtliche Praktiken zu verurteilen, die durch die Diskriminierung der Sprache oder durch erzwungene oder verdeckte Assimilation gegen die Identität, den Gebrauch der Sprache und die Kulturinstitutionen der gefährdeten Sprachgemeinschaften gerichtet waren oder sind“.

Hieran lässt sich erkennen, wie wichtig neben den konkreten Projektmaßnahmen der AGMO e.V. mit den Basisgruppen unserer Landsleute in der Republik Polen auch die aktive und glaubwürdige Informationsarbeit im Rahmen von politischen Gesprächen und Vorträgen vor Parlamentariern auf europäischer Ebene ist.

Bedrohte Sprachen und Sprachgruppen stehen unter besonderem Schutz der Union

Sicherlich scheint die deutsche Sprache in der EU insgesamt nicht vom Aussterben bedroht zu sein. Die einzelnen deutschen Volksgruppen in den Staaten Mittel- und Osteuropas sind jedoch sehr wohl in ihrer sprachlich-kulturellen Existenz gefährdet. In besonderem Maße gilt das für die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen, deren Kinder seit über 20 Jahren theoretisch das Recht dazu hätten, die deutsche Sprache als Muttersprache umfassend im Rahmen durchgehend deutschsprachigen Unterrichts an öffentlichen Bildungseinrichtungen zu lernen. Theoretisch – denn „echte“ deutschsprachige Vor- und Grundschulen fehlen trotz entsprechender bi- und multilateraler sowie innerpolnischer gesetzlicher Regelungen immer noch. Auch dazu finden die Europaparlamentarier die richtigen Worte: So zählen „zu der Kategorie der vom Aussterben bedrohten Sprachen auch solche Sprachen […], die nur in einem bestimmten Gebiet vom Aussterben bedroht sind, in dem die Zahl derjenigen, die diese Sprache sprechen, erheblich im Rückgang begriffen ist, sowie die Fälle, in denen den Statistiken aufeinander folgender Volkszählungen zufolge ein dramatischer Rückgang der Zahl der Menschen, die eine bestimmte Sprache sprechen, zu verzeichnen ist“.

Wobei durch die europäische Volksvertretung, so wie es auch die AGMO e.V. sieht, eindeutig festgestellt wird, „dass Unterricht in der Muttersprache am effizientesten ist“ und dass „Kinder, die von klein auf ihre Muttersprache und parallel dazu eine Amtssprache erlernen“, für das Erlernen weiterer Sprachen eine größere natürliche Begabung als andere Gleichaltrige besitzen. Der Präsident des Europaparlaments ist mit der Annahme des Berichtstextes nunmehr aufgefordert, den Regierungen und Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten den Text zu übermitteln.

Nichtsdestoweniger offenbaren sich Vorbehalte immer noch auch in Brüssel. Am Montag, 16.09.2013, wies die EU-Kommission eine Initiative der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppe (FUEV) Angehörigen nationaler Minderheiten mehr Handlungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene zu verschaffen, zurück.

Das Auswärtige Amt in Berlin

Bundesregierung verpflichtet Resolution des Europaparlaments zu beachten

Mit Bedauern stellt die AGMO e.V. fest, dass die Resolution erst jetzt verabschiedet und dementsprechend später der Bundesregierung und dem Bundestag zugehen wird. Denn was auf europäischer Ebene nach einiger Zeit der Vorbereitung angemahnt wird, scheint in Berlin nur auf wenig Gehör und Empathie zu stoßen. Die sprachlich-kulturellen Bedürfnisse unserer Landsleute in der Republik Polen spielen kaum eine Rolle.

Vor fünf Jahren begann das Verfahren um die Petition der AGMO e.V., mit der die in Bonn ansässige Menschenrechtsgesellschaft auf das skandalöse Fehlen deutscher Vor- und Grundschulen für die Kinder der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen hinwies. Der erste Abschnitt des Verfahrens zog sich bis in das Frühjahr 2011 hin. Unter Verwendung von teils unzutreffenden Behauptungen setzte der Petitionsausschuss eine ablehnende Beschlussempfehlung auf, die vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommen wurde. Nachdem auf Bitten der AGMO e.V. und des Präsidenten des deutschen Dachverbandes in der Republik Polen (VdG), Bernard Gaida, Bundestagspräsident Prof. Dr. Lammert sich der Sache persönlich annahm, wurde eine erneute Überprüfung angesetzt. Deren Ergebnis war im Juli 2012 eine positive Beschlussempfehlung, mittels derer die Bundesregierung in Person des Auswärtige Amts binnen Jahresfrist zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde.

Der Vorstand der AGMO e.V. zu Besuch bei Bundestagspräsident Prof. Dr. Lammert

Stellungnahme des Auswärtigen Amtes – Man bleibt gern im Ungefähren

Diese Stellungnahme traf vor wenigen Tagen bei der AGMO e.V. ein. Den Wortlaut der Stellungnahme finden Sie hier: (http://www.agmo.de/aktuelles/mitteilungen/207-stellungnahme-des-auswaertigen-amts-zur-petition-der-agmo-ev). Auf zwei Seiten wird nunmehr zusammengeschrieben, was hinlänglich bekannt ist. Besonders ärgerlich ist, dass Streit- und Kritikpunkte zwar erwähnt werden, jedoch nicht zu erkennen ist, dass sich das Auswärtige Amt einen der Punkte zu Eigen macht. Dies wäre angesichts der obliegenden Schutz- und Obhutspflicht der Bundesregierung für die Deutschen im Ausland zu erwarten. So werden keine Lösungsvorschläge angeboten. Fehlschlüsse hingegen wiederholt. Die Vereinfachung etwa, bilingualen Unterricht beantragen zu können, bedeutet, nachdem nur noch vier und nicht mehr alle Fächer zweisprachig unterrichtet werden müssen, keine Erleichterung, sondern vielmehr eine drastische Absenkung eines ohnehin schon niedrigen Niveaus. Dies müsste der Bundesregierung eigentlich bewusst sein.

Andererseits findet der Europaratsbericht vom 7. Dezember 2011 Eingang in die Stellungnahme, wobei die vorhandenen nationalistischen Vorbehalte seitens polnischer Behörden und der Mehrheitsbevölkerung im Schreiben des Auswärtigen Amtes nicht ausgespart werden.

Insgesamt erhärtet sich jedoch der Eindruck, dieses Thema solle hinhaltenden beantwortet werden. Zu vieles bleibt im Ungefähren und das obgleich die AGMO e.V. im Rahmen des Petitionsverfahrens Informationen ausreichend zur Verfügung stellte. In Berlin hingegen weigert man sich immer noch, die Dringlichkeit der Angelegenheit, wie sie das Europaparlament deutlich auf den Punkt brachte, wahrzunehmen.

Geringe Empathie bedingt große Zurückhaltung

Es ist daher zu hoffen, dass der Bericht, den das Europäische Parlament am 11. September verabschiedet hat, in den Hauptstädten Europas auf offene Ohren stößt. Die AGMO e.V. wird jedenfalls dafür Sorgen, dass das Dokument die entsprechende Verbreitung findet.

Solange Berlin zögert und zaudert und weder Schutz- noch Obhutspflicht ausreichend wahrgenommen werden, aber auch der Respekt vor kultureller Vielfalt sowie die  „Brückenfunktion“ der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen nurmehr ein geflügeltes Wort aus Lippenbekenntnissen darstellt, ist der Weg über Straßburg und Brüssel vielleicht doch kein Umweg. Vielmehr ist er eine Möglichkeit offensiver als dies im bilateralen deutsch-polnischen Verhältnis derzeit möglich scheint, für die umfassende Gültigkeit der Minderheitenrechte der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen zu streiten.

Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1980 als Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) gegründet.
Die AGMO e.V. wurde im Jahre 1990 in das Vereinsregister eingetragen.